Kein Widerspruch: Für Werte stehen, Haltung zeigen und Gemeinnützigkeit schützen

Politische Betätigung und Gemeinnützigkeit von Vereinen

Stand 06.08.2025

Vereinsfragen zu Satzungszwecken, Neutralitätsgebot und (politischem) bürgerschaftlichem Engagement im Amateurtheater

Das gesellschaftliche Klima verändert sich. Von verschiedenen Seiten erleben wir, auch in der Bundesrepublik Deutschland, Angriffe auf die demokratische, kulturell engagierte Zivilgesellschaft wie beispielsweise Theatervereine. Besonders geschieht das dann, wenn Vereine oder Verbände zu politischen Fragen Stellung nehmen, sich aktiv zu Toleranz, Gleichberechtigung und Vielfalt bekennen und sich gegen Menschenfeindlichkeit und Diskriminierungen äußern. Die Vereine trifft Kritik, Verunglimpfung, sie erfahren Einschüchterungsversuche und sehen sich Angriffen ausgesetzt von politisch sehr konservativen Akteuren, von Agitierenden des politisch rechten Randes oder von Rechtsextremen.
Viele Vereine fühlen sich verunsichert, manche sind regelrecht eingeschüchtert, wie Reaktionen und Rückmeldungen von zivilgesellschaftlich Engagierten auch aus dem Amateurtheater beispielsweise nach der Kleinen Anfrage einer großen Bundestagsfraktion direkt am Tag nach der Bundestagswahl im Februar 2025 zeigen.

In diesem Zusammenhang erreichten und erreichen uns als Bundesverband immer wieder Fragen von Vereinen aus unseren Mitgliedsverbänden im BDAT:

Was dürfen wir, können wir uns politisch betätigen oder äußern?
Wir würden gerne Haltung zeigen und uns für eine demokratische, freiheitliche, vielfältige Gesellschaft engagieren, ohne unsere Gemeinnützigkeit zu gefährden?

Unsere Satzung sieht vor, dass wir als Verein „politisch neutral“ sind. Da können wir doch keine Banner mit politischer Botschaft zu „Demokratie schützen“ vor der Bundestagswahl am Vereinsheim anbringen, ohne die Gemeinnützigkeit zu verlieren, oder?“

Müssen wir das „Neutralitätsgebot“ beachten?

Vorneweg eine Bemerkung: Jeder Mensch in einer Demokratie kann sich ganz klar zu Demokratie, für Werte und Rechte, die in der Verfassung verankert sind, bekennen, sich dafür engagieren und gegen demokratiefeindliche Entwicklungen oder Diskriminierungen und Hass protestieren. Das Recht auf politische Meinungsäußerung (GG Art. 5 Absatz 1) und Versammlungsfreiheit (GG Art. 8 ) gilt.

Aus einem differenzierteren Blickwinkel sind Aktivitäten von Vereinen zu sehen. Wir versuchen, das im Folgenden verständlich darzustellen und als Bundesverband den Vereinen „den Rücken zu stärken“.

Wichtiger Fakt #1: Werte des Vereins – Satzungsweck, Leitbild, Positionierungen

„Politisch neutral“ bezieht sich darauf, sich parteipolitisch neutral zu verhalten, also nicht bestimmte Parteien zu unterstützen (siehe Zusammenfassung 3.1. Wiss. Dienst des Bundestags Sachstand WD 4 – 3000 – 094/21) und keine parteipolitische Werbung zu machen. Die Aktivitäten eines Vereins beruhen auf der Satzung. In dieser sind die Ziele des Vereins (Vereinszwecke) festgelegt. Hier können sich und werden sich in vielen Fällen auch Werte finden, für die der Verein steht: z.B. „gemeinsames Theaterschaffen von Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen“. Damit ist der Einsatz und politische Äußerungen des Vereins für „Vielfalt, Diversität“ vom Vereinszweck gedeckt, solange diese konkret das Erreichen des Vereinszwecks verfolgen.

Wichtig ist: Der Verein sollte sich bei seinen Aktivitäten auf seine Werte in der Satzung, in seinem Leitbild, in seinen veröffentlichten Positionen, die vom Vorstand oder der Mitgliederversammlung verabschiedet wurden, beziehen und logisch damit begründen. Damit agiert der Verein rechtssicher und gefährdet seine Gemeinnützigkeit nicht. Im Gegenteil: Er bzw. die Mitglieder verfolgen die Vereinszwecke. Genau das sollten die Mitglieder auch tun. Ein Verein darf somit politische Meinungen vertreten, solange sie seinem Satzungszweck entsprechen und er dies entsprechend gut begründen kann. Also: Augen auf bei der Formulierung der Satzungszwecke! Und: Die Satzung lässt sich durch Mitgliederbeschluss ergänzen und ändern.

Wichtiger Fakt #2: „Gelegentliche politische Meinungsäußerung“ von Vereinen ist nicht zu beanstanden

Zusätzlich ist gut zu wissen: Eine gelegentliche politische Betätigung, wie Stellungnahmen zur Tagespolitik, die außerhalb der satzungsgemäßen (steuerbegünstigten) Zwecke liegen, gefährdet die Gemeinnützigkeit eines Vereins nicht. Das könnte z.B. der Aufruf eines Theatervereins zum Klimaschutz sein oder eine Stellungnahme gegen Rassismus oder eine Beteiligung an einer Kampagne, die nicht die Satzungszwecke verfolgt. Diese gelegentliche politische Meinungsäußerung wird vom Finanzamt, das die Gemeinnützigkeit bescheinigt, nicht beanstandet.

Allerdings dürfen die Gelder des Vereins ausschließlich für die eigenen satzungsgemäßen Zwecke des Vereins eingesetzt werden. (Siehe dazu auch unten den Link zur Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement)

Wichtiger Fakt #3: Wer ist zu „politischer Neutralität“ verpflichtet?

Das Neutralitätsgebot gilt für den Staat und diejenigen, die ihn offiziell vertreten, so Beamte, Angestellte des Öffentlichen Dienstes, Lehrkräfte.

Das Bundesministerium des Innern (BMI) schreibt auf seiner Website: „Laut Bundesverfassungsgericht muss der Staat „Heimstatt aller Bürger“ sein – unabhängig von ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis. Der Staat darf sich daher selbst nicht mit einem bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren. Er muss vielmehr allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften neutral und tolerant gegenüberstehen.“

Gleichzeitig gilt, dass das Neutralitätsgebot kein „Freibrief“ für extremistische oder diskriminierende Weltanschauungen ist. So ordnet das Deutsche Institut für Menschenrechte es folgendermaßen ein, wenn z.B. Lehrkräfte und Pädagogisches Personal in der schulischen und auch außerschulischen Bildung auf gefährliche politische Entwicklungen hinweisen:

Lehrkräfte und andere Akteur*innen, die in der politischen Bildung tätig sind, stehen hierbei vor erheblichen Herausforderungen, da rechtsextreme Positionen im öffentlichen und politischen Raum deutlich zugenommen haben. Beziehen sie Stellung gegen solche Positionen, sehen sie sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden das staatliche Neutralitätsgebot verletzen. Das Neutralitätsgebot ist hingegen kein Hindernis, Parteien (…), die eine national-völkische Ideologie und verfassungsfeindliche Positionen vertreten, als solche zu thematisieren. Lehrende haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, solche Parteien entsprechend einzuordnen und ihnen entgegenzutreten. In zahlreichen Publikationen hat das Deutsche Institut für Menschenrechte herausgearbeitet, dass eine kritische Thematisierung rechtsextremer Positionen von Parteien weder das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb (Artikel 21 GG), Regelungen des Beamten- oder des Schulrechts noch didaktischen Leitprinzipien wie das Kontroversitätsgebot politischer Bildung entgegenstehen, sondern warum diese menschenrechtlich vielmehr dringend geboten ist.

Wichtig: Das Neutralitätsgebot gilt nicht für nicht-staatliche Akteure, also Nichtregierungsorganisationen (NGO), wie Verbände und Vereine!

Eine erläuternde Handreichung „Mythos Neutralitätsgebot“ hat der Deutsche Bundesjugendring 2024 veröffentlicht.

Wichtiger Fakt #4: Einflussnahme auf politische Willensbildung ist kein eigenständiger Gemeinnütziger Zweck nach Abgabenordnung

Und woher kommt eigentlich das ganze Durcheinander?

Zum einen nützt es manchen „Playern“ im gesellschaftlichen oder politischen Feld, wenn Vereine eingeschüchtert werden oder sich verunsichert fühlen. Aus Angst und Verunsicherung beschließt vielleicht ein Verein dann lieber nicht zu einer Demonstration aufzurufen oder mit einer Stellungnahme aufzufallen. Nach dem Motto: Wenn man nichts macht, macht man (meist) nichts falsch.
Was für ein Irrtum das oft ist, beweist lebensrettende Erste Hilfe.

Zum anderen ist tatsächlich bisher „Einfluss auf politische Willensbildung“ kein gemeinnütziger Zweck für sich und kann, wenn ein Verein durch seine Aktivitäten versucht konkret Einfluss auf die politische Willensbildung von Menschen zu nehmen, den Verlust der Gemeinnützigkeit bedeuten.
„Die Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung ist kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck im Sinne von § 52 AO“ hat der Bundesfinanzhof 2019 geurteilt.

Hier wird allerdings seit Jahren über eine Erweiterung des Gemeinnützigkeitskatalogs in der Abgabenordnung diskutiert. Ob es zu einer Erweiterung kommt und sich damit der Handlungsspielraum für Vereine erweitert, wenn sie diesen Satzungszweck verfolgen wollen, ist momentan nicht abzusehen.

  • Siehe hierzu auch folgende Informationen :
     Punkt 5. Sachstand Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags (WD 4 – 3000 – 094/21, Link unten bei Quellen) und
  • Der Zweckekatalog der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung.

 

Wichtiger Fakt #5: Die Kunstfreiheit gilt auch für Amateurtheater

Wichtig ist zu unterscheiden: Einmal gibt es die Sphäre des Engagements eines Vereins, wozu er aufruft – hier gelten die oben genannten Spielregeln.

Und zum anderen gibt es die Sphäre der Künstlerischen Darbietung, Aufführung, Performance. Hierfür gilt natürlich die Freiheit der Kunst, die im Grundgesetz fest verankert ist und ein hohes Gut unserer Demokratie darstellt. Der Artikel 5, Absatz 3 im Grundgesetz besagt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Kunstfreiheit gilt selbstverständlich für Amateurtheater. Kunstfreiheit beinhaltet auch Interpretationen und Bezüge zu politischen Ereignissen und Entwicklungen auf der Bühne. Solange nicht gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen wird, darf Theater in der künstlerischen Darstellung jederzeit interpretieren, Kunstmittel wie z.B. Satire, Übertreibung, Zuspitzung oder Ironie nutzen, Positionen einnehmen und Stellung beziehen.

Rechtlicher Hinweis und Quellen für diesen Beitrag:

Hinweis: Dieser Beitrag ist keine Rechtsberatung. Rechtsberatung darf nur von juristisch befugten Personen erteilt werden.
Wir haben uns in der Frage intensiv sachkundig gemacht und geben hier als Dachverband für Amateurtheater Hinweise aufgrund folgender Quellen und deren Einschätzungen:

Deutsche Stiftung für Ehrenamt und Engagement:

https://www.deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de/dseerechtstipp/politische-betaetigung-von-vereinen/

https://freiheitsrechte.org/gemeinnuetzigkeit-infomaterial

Verein Deutsches Ehrenamt:

https://deutsches-ehrenamt.de/vereinsrecht-fuehrung/vereinsorganisation/duerfen-sich-vereine-politisch-engagieren/

Analogien aus dem Bereich Sportvereine:

https://www.dshs-koeln.de/fileadmin/redaktion/Institute/Sportrecht/Forschung/Parteipolitische_Neutralitaet_von_Sportvereinen_KS.pdf

Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags:

https://www.bundestag.de/resource/blob/871046/00fddb36ac45ef691ff6c848b1b4c8c2/WD-4-094-21-pdf.pdf

Zur Erweiterung Katalog Gemeinnützigkeitszwecke: Allianz Rechtsicherheit für politische Willensbildung:

https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/forderungen/zweckekatalog/