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Appell für einen Rettungsschirm für Kinder und Jugendliche

Im vergangenen Jahr hat sich der Bund Deutscher Amateurtheater e. V. schwerpunktmäßig mit dem Theater von und mit Kindern und Jugendlichen auseinandergesetzt. Das war uns auch ein Anliegen, weil nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Bedürfnisse junger Menschen besonders in Krisenzeiten oft vom Radar der Erwachsenen verschwinden. Wir haben daher auch folgenden, im vergangenen November initiierten Rettungsschirm für Kinder und Jugendliche mitgezeichnet.

Und auch ihr könnt die Aktion noch unterstützen: Wenn ihr interessiert seid, schreibt eine E-Mail an den BDJA (Bund der Jugendfarmen- und Aktivspielplätze e. V.): bdja@bdja.org

Obwohl der Stellenwert der jungen Generation für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft in Sonntagsreden immer wieder beschworen wird, kommt der Kinder- und Jugendpolitik nicht der Stellenwert zu, den dieses Thema verdient. Und das in einer Zeit, in der sich die Welt immer schneller verändert und die Anforderungen an junge Menschen immer größer werden. Zu den Herausforderungen der langjährigen Bildungskrise, der Corona-Pandemie oder der anhaltenden Klimakrise kommen neue hinzu: die politische Spaltung im eigenen Land, Kriege und eine massive psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen, insbesondere wenn die finanzielle Situation im Elternhaus prekär ist. Kinder und Jugendliche müssen deshalb in den Fokus der Politik, es braucht eine krisenfeste und zukunftsfähige Entwicklungsperspektive für Kinder und Jugendliche.

Ohne Angebote, die ihre Lebenssituation verbessern und mit denen sie selbst etwas bewirken können, sinkt ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit und ihr Vertrauen in eine Demokratie, in der es sich lohnt, Einfluss zu nehmen. Ohnmacht paart sich dann mit Frustration und Wut. 

Schon viel zu lange wurden und werden die Interessen von Kindern und Jugendlichen systematisch ignoriert. Die Politik der Corona-Zeit ist dafür symptomatisch. Kinder und Jugendliche waren diejenigen, die am stärksten gesellschaftliche Solidarität gezeigt haben, aber auch am stärksten von den Maßnahmen betroffen waren und bis heute darunter leiden. Dies zeigt sich insbesondere in einem massiven Anstieg psychischer Störungen und Belastungen sowie einer Reduktion ihres Wohlbefindens.

Die Enttäuschungen über den fehlenden Willen zu einer zukunftsorientierten Politik wirken bis heute nach. Dabei ist das politische Interesse und die Bereitschaft zum politischen Engagement der Jugendlichen in Deutschland hoch, wie die Shell Jugendstudie jüngst festgestellt hat. Es ist aber auch ein zartes Pflänzchen, das  von Politik und Gesellschaft nicht gleich wieder zertrampelt werden darf.

Wir sehen mit großer mit Sorge, dass die Mittel für die präventive Jugendhilfe immer weiter gekürzt werden und Kürzungen im sozialen Bereich oben auf der politischen Agenda stehen. Bereits vor der Corona-Pandemie war die Kinder- und Jugendhilfe in vielen Kommunen „auf Kante genäht“. Neue Bedarfe sind durch die Pandemie hinzugekommen und jetzt steht sie aufgrund der kommunalen Finanznot vielfach vor dem Zusammenbruch. Es ist zu befürchten, dass Angebote und notwendige Unterstützung nicht mehr bei den jungen Menschen und ihren Familien ankommen, viele kleine Träger der freien Jugendhilfe diese Sparmaßnahmen nicht überleben und Fachkräfte abwandern.

Wenn Strukturen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit weiter wegbrechen, wird es sehr schwer sein, sie später wieder aufzubauen. Außerdem werden sie dringend gebraucht, um unsere Demokratie zu schützen und einzigartigen Qualitäten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit im offenen Ganztag an Schulen einzubringen. 

Deshalb brauchen wir einen Rettungsschirm für Kinder und Jugendliche, der ihre Bedarfe in den Mittelpunkt stellt und auf verschiedenen Ebenen grundlegende Änderungen der Rahmenbedingungen für ein gutes Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland schafft.

Für eine Stärkung der Kinderrechte

Während der Corona-Pandemie wurde viel über Grundrechtseingriffe und die Abwägung von Grundrechten diskutiert – aber nicht mit den jungen Menschen. Sie wurden zu Objekten staatlichen Handelns. Die Kinderrechte spielten kaum eine Rolle. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Kinderrechte zu stärken und im Grundgesetz zu verankern. Kinderrechte im Grundgesetz würden dazu beigetragen, die Auswirkungen von Maßnahmen auf Kinder und ihre Rechte sichtbar zu machen und ihre Position zu stärken. Auch das Recht der Kinder auf Beteiligung muss endlich ernst genommen werden. Sie haben ein Recht auf Beteiligung in allen sie betreffenden Angelegenheiten. Um ihre Rechte einfordern zu können, müssen Kinder diese aber auch kennen. Dazu brauchen sie einen Rahmen und die Möglichkeit, demokratische Methoden der Mitbestimmung zu erfahren, zu erproben und umzusetzen. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit bietet mit ihren Grundprinzipien hierfür seit Jahrzehnten den geeigneten Rahmen. Ergänzend dazu bedarf es flächendeckend echter Mitbestimmungsmöglichkeiten in der (Grund-)Schule, die über einen „Projektcharakter“ hinausgehen und eine lebendige und demokratische Schulkultur zum Ziel haben. Partizipation muss fester Bestandteil des Alltags der Kinder und damit der Schulkultur sein. Sie sollte konzeptionell im Schulprogramm verankert und gemeinsam mit den Inhalten der Offenen Kinder und Jugendarbeit ausgestaltet sein. Und was für die Schulen gilt, muss bereits in den Kindertagesstätten altersgerecht integriert und an Hochschulen/in der Ausbildung fortgeführt werden.

Für eine bessere vorschulische und schulische Bildung

Um eine qualitativ hochwertige Betreuung, Erziehung und Bildung dauerhaft und krisenfest zu sichern, müssen mit Nachdruck gezielte Fachkräfteoffensiven für die Arbeitsfelder der Jugendhilfe insgesamt gestartet werden. Hierzu gehören gleichrangig Kita, Kindertagespflege, OKJA, Hilfe zur Erziehung (HzE) und Schule. Dazu müssen die Ausbildungs- und Studienkapazitäten ausgebaut werden. Darüber hinaus müssen die Aus- und Weiterbildungscurricula so angepasst werden, dass sie den tatsächlichen Bedürfnissen der Fachkräfte in der Praxis wieder zeitgemäß entsprechen. Nicht zuletzt müssen auch die Arbeitsbedingungen in den Blick genommen werden, um die Attraktivität der Berufsfelder zu erhöhen. Der schulische Ganztag und die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab 2026 können qualitativ nur im Sinne einer sozialräumlichen Bildungslandschaft gelingen. Diese muss im Sinne der Kinder mit außerschulischen Akteur:innen, beispielsweise Träger:innen pädagogisch betreuter Spielplätze gestaltet werden. Sozialräumliche Konzepte unter Beibehaltung der Selbständigkeit der OKJA müssen vor Ort individuell entwickelt und fiskalisch auch hinterlegt werden. Neben der Fachkräfteoffensive brauchen wir eine digitale Bildungsoffensive: Wir brauchen einen umfassenden Schulentwicklungsprozess, der die digitale Weiterbildung und Medienkompetenz von Lehrkräften und Schüler:innen fördert und evaluiert. Dafür braucht es bundesweite Standards. Zudem fehlt es nach wie vor an kostenlosen und niedrigschwelligen Lernplattformen. Gleichzeitig darf das Lernen über praktisches Tun und Experimentieren in der Kunst, im freien Spiel sowie im Kontakt mit Tieren und der Natur nicht vergessen werden.

Für eine Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen

Wir müssen endlich das Problem der Kinderarmut in Deutschland angehen. Mehr als ein Drittel derjenigen, die Grundsicherung erhalten, sind Kinder und Jugendliche, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland derzeit nur knapp 17 Prozent beträgt. Dies unterstreicht unsere Forderung nach einer existenzsichernden Kindergrundsicherung, die diesen Namen auch verdient. Wir erleben derzeit, dass es sehr kompliziert ist, die verschiedenen Rechtskreise unbürokratisch zusammenzuführen, aber wir dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen erreichen, dass Familien die ihnen zustehenden Leistungen auch in Anspruch nehmen und alle Kinder gute Entwicklungschancen haben. 

Für eine Verbesserung des Kinderschutzes

Der Kinderschutz ist und bleibt ein wichtiges Thema. So zeichnet beispielsweise der aktuelle Lagebericht des Bundeskriminalamtes zu Sexualdelikten an Kindern und Jugendlichen ein düsteres Bild. Besonders erschreckend: In fast jedem siebten Fall waren die Opfer jünger als sechs Jahre. Ein Grund, weshalb wir mehr Investitionen in Prävention und in funktionierende Kinder- und Jugendhilfestrukturen brauchen. Denn generell müssen wir zum Beispiel mit Blick auf die Jugendämter in Deutschland feststellen, dass deren Arbeitsbelastung in vielen Kommunen viel zu hoch ist, dass es also zu viele Fälle für zu wenig Personal gibt.

Für die Zukunft unserer Demokratie

Wir müssen uns als Gesellschaft verstärkt und vor allem schnell um die Demokratieförderung von Kindern und Jugendlichen kümmern. Obschon das Wahlverhalten junger Menschen bei den letzten Europawahlen und den drei ostdeutschen Landtagswahlen Gegenstand vielfältiger gesellschaftlicher und medialer Debatten war, ist das Interesse an einer kinder- und jugendgerechten Politik inzwischen merklich abgeflaut. Dabei stellt das Erstarken des Rechtsextremismus, der auch bei den Europawahlen zu beobachten war, eine ernste Gefahr für
die Demokratie in Deutschland dar und hat vielfältige Auswirkungen auf das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserem Land.

Unterzeichner:innen der Erklärung „Appell für einen Rettungsschirm für Kinder und Jugendliche“ sind die Veranstalter und Redner:innen der Veranstaltung „Brennglas Pandemie – Was bleibt?“ vom 7.11.2024:

Verbände, Organisationen und Institutionen
Bund der Jugendfarmen- und Aktivspielplätze e. V. (BdJA) Spielmobile e. V.
Bundesarbeitsgemeinschaft der mobilen spielkulturellen Projekte
Bundarbeitsgemeinschaft der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (BAG OKJA)
Deutsches Kinderhilfswerk (DKHW)

Einzelpersonen
Prof. Dr. Hanna Christiansen (Philipps-Universität Marburg, Leiterin der AG Klinische Kinder-und Jugendpsychologie und Direktorin der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie-Ambulanz Marburg sowie des Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie)
Prof. Christian Palentien (Universität Bremen, Arbeitsgebiet „Bildung und Sozialisation“ am Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften)
Dario Schramm (Bundesschülersprecher während der Corona-Pandemie)
Nicole Völschow (Schulleitung Grundschule Roter Hahn – Lübeck)