
Zum dritten Mal werden vom Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) im Rahmen der „amarena-Innovationsförderung“ ausgewählte Projekte mit insgesamt 14.000 Euro gefördert. Insgesamt haben sich 33 Projekte beworben. Davon wurden vier Amateurtheaterprojekte gefördert.
Theater unter der Dauseck Oberriexingen (Baden-Württemberg) //
„ALICE gespiegelt“
Das Möbelhaus als theatrales Wunderland
Das Theater unter der Dauseck ist dafür bekannt, jedes Jahr zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen eine Theaterproduktion an einem neuen Spielort mit einem neuen Ensemble zu entwickeln. Neu meint dabei nicht nur: „Das war noch nicht da!“, sondern auch: „Vergessen Sie die Ihnen bekannten Konventionen!“.
Das geplante Theaterprojekt „ALICE gespiegelt“ verlegt Alices gewohnte Wunderwelt in die wunderbare Wohnwelt eines Möbelhauses, das nicht nur „Luxus für Alle“ verspricht, sondern gleichsam vielfältige Einrichtungsideen für unser Leben bietet und nicht zuletzt symbolische Abstellräume für vergessene Träume und Hoffnungen bereithält. Gesellschaftlich relevante Fragestellungen wie Konsumorientierung, der durchhetzte Alltag, „Social Freezing“ oder Existenzängste werden in Szenen aus „Alice im Wunderland“ übersetzt und in der möblierten Lebenswelt mit dem Bastelmaterial unserer Biographien verbunden.
Das Theater unter der Dauseck verfolgt das Prinzip, dass jede_r mitwirken kann. Menschen vor Ort werden in das Projekt einbezogen. Es konstituiert sich ein neues Ensemble, das ausgehend von der konzeptionellen Idee die Inszenierung erarbeitet. Die Biografien und Familiengeschichten der Mitwirkenden sind dabei Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit pluralen Lebensentwürfen unserer Gesellschaft.
Dem Anspruch, jede_n zu erreichen, kommt das Theater unter der Dauseck auch für sein Publikum nach. Zum Ort der Inszenierung wird ein Möbelhaus, ein Platz, an dem das alltägliche Leben stattfindet.
Das Kuratorium der amarena-Innovationsförderung 2015 hält „ALICE gespiegelt“ für förderwürdig und beispielhaft, weil mit einer zeitgenössischen, ortsspezifischen Theaterform Spieler_innen und Zuschauer_innen erreicht werden, die sonst möglicherweise keine Begegnung mit diesem künstlerischen Ansatz haben würden. Theater wird nicht losgelöst vom Aufführungsort und den dort lebenden Menschen gemacht. Der Ort selbst und die mit ihm verbundenen Menschen können sich einbringen. Konzeptionell überzeugt die Idee der Inszenierung gesellschaftlich relevanter Themen in einem Möbelhaus als Ort, der Umbrüche im Leben markiert und gleichzeitig dafür steht, sein Leben zeitweilig in einer individualisierten Variante einzurichten, die schlussendlich doch vorgegeben ist.
Romi Domkowsky (Mitglied des amarena-Kuratoriums)
V.E.B. VereinsEigeneBühne, Chemnitz (Sachsen)//
„Fremdes Vertrautes“
Das Projekt „Fremdes Vertrautes“ des „V.E.B. VereinsEigeneBühne e.V.“, Chemnitz, ist für die amarena Innovationsförderung 2015 ausgewählt worden. In Zeiten um sich greifender rassistischer Verdüsterung und Verrohung der Gesellschaft müssen und dürfen Theaterprojekte nicht fehlen, die sich mit der Vielfältigkeit und den Wurzeln unserer europäischen Kultur auseinander setzen. Die Figur des Moriskentänzers steht hier am Anfang einer theatralen Entdeckungsreise. Morisken und ihre Kunst, aus den arabischen Ländern nach Europa gekommen, als höfische Kunst etabliert, haben unsere Theaterformen geprägt. In der Verstellung, der Unterdrückung und Sublimierung des beißenden Spotts konnte sich so Kritik an den Lebensumständen frei äußern. Die Körperlichkeit, der Spott und Hohn gegenüber den Adligen und Geizigen wurde von den Morisken verbreitet und beeinflusste die Darstellungen der Commedia dell´arte. Zu überhöhen und der herrschenden Klasse eine lange Nase zu zeigen, war immer schon Bestandteil einer lebendigen Theaterkultur.
Die Auseinandersetzung und Erarbeitung dieser Themen von und mit einer bunten Gruppe theaterbegeisterter Menschen verdient jede Anerkennung. Dieses innovative Projekt verbindet, öffnet, zeigt und erforscht und dies wird mit der amarena Innovationsförderung gewürdigt und unterstützt.
Christine Bossert (Mitglied des amarena-Kuratoriums)
Stage Divers(e) Forum für JugendTheaterKultur, Esslingen (Baden-Württemberg) //
„Upside down – schwerelos“
Die Stage Divers(e) aus Esslingen sind ein Zusammenschluss nicht professioneller Theaterschaffender, erwachsen aus einer ehemaligen Schultheater-AG eines Gymnasiums.
Sie lehnten die Ihnen zugedachte Rolle als Nachahmer professioneller Schauspieler und der anerkannten Bühnensprache ab und wandten in jugendlicher Frechheit den Profi-Bühnen und anderen belehrenden Institutionen den Rücken zu. Inzwischen sind sie ein anerkannter Verein und wurden mehrfach ausgezeichnet. Das Ensemble setzt sich aus Studierenden, Berufstätigen, Menschen mit Migrationshintergrund, Asylsuchenden, Schülern, Rentnern und weiteren Sympathisanten zusammen.
In dem Projekt „Upside Down – schwerelos“ werden die Stage Divers(e) mit 20-25 jungen Menschen im ArtisTraum Berlin ein internationales Theater-Artistik-Stück erfinden und im Anschluss in Berlin und Esslingen präsentieren. „Wir verlassen vollständig den klassischen Theaterrahmen, wir lösen nicht nur den Zuschauerraum, sondern auch den Bühnenraum auf. Wir spielen im Publikum und um das Publikum herum, wir erheben es gleichsam mit auf die unterschiedlichen Ebenen, horizontal und vertikal.“, heißt es in der Projektbeschreibung.
Als Akteure mit Vorerfahrung holen sie die Theatergruppe Colectivo racún aus Santiago de Chile nach Deutschland. Mit Hilfe ihres Könnens wird der internationale Ansatz und gleichermaßen die Sicherung für noch nicht erfahrene Mitwirkende gewährleistet. „Wir wollen nicht nachahmen, denn das schafft nichts Neues.“, sagt Babette Ulmer, Initiatorin des Projektes. Das Hauptanliegen dieser Art internationalen Theaters sei es, neue Wege der Kommunikation ausfindig zu machen, die sich nicht auf das gesprochene Wort konzentrieren. Dem Publikum in Berlin und in Esslingen sollen Perspektiven geschaffen werden, die in dieser Kombination noch nicht gesehen oder gehört wurden und dem Kulturkonsumenten den Weg in sein gewohntes Hör- und Sehvermögen verstellen. Ob es den Stage Divers(e) gelingt, gleichsam den Zuschauerraum in die Lüfte zu erheben, wird sich zeigen. Wir dürfen gespannt sein.
Martin Bretschneider (Mitglied des amarena-Kuratoriums)
Offener Kunstverein Potsdam Land Brandenburg / Theatergruppe „Tarántula“//
(Verbotene Zonen) „RAMSCH – frei nach Picknick am Wegesrand der Brüder Strugatzki“
Die Jugendtheatergruppe „Tarántula“ hat in Potsdam einen vergessenen Ort entdeckt: an der Grenze zum preußischen Heiligtum „Sanssouci“! Vormals Jugendtreff, Gaststätte – jetzt: leer, verlassen, ruinös. Hier soll sich ein Theaterprojekt nach dem Sci-Fi-Roman „Picknick am Wegesrand“ der Gebrüder Strugatzki entwickeln. Ein verlassener Picknick-Platz Außerirdischer wird zur „Verbotenen Zone“, da sich die Mächtigen Innovationen aus dem unbekannten Abfall versprechen.
Die international buntgemischte Truppe wird den verlorenen Raum wiederentdecken, beleben. Die zu erwartenden Auseinandersetzungen in philosophischen, moralischen, psychologischen Sichten zum Thema „Zivilisation“ werden sicher bei Machern und Zuschauern ungewohnte Fenster öffnen (in diesem Zusammenhang sei die Filmadaption „Stalker“ von A.Tarkowski wärmstens empfohlen).
Die kreative Entwicklung dieses Projektes aus der Gruppe heraus (Dramaturgie/Ausstattung/Choreografie/Musik) mit professioneller Unterstützung hat uns bewogen, der Gruppe die amarena Innovationsförderung zukommen zu lassen.
Ulrich Schwarz (Mitglied des amarena-Kuratoriums)
Frank Grünert // Kuratoriumsvorsitzender amarena/Vizepräsident BDAT/Vors. Thüringer Theaterverband
Frank Weymann // Öffentlichkeitsreferent und Redakteur „ungeschminkt“ im Landesverband Hessischer Amateurbühnen
Prof. Dr. Romi Domkowsky // Professorin für Theaterpädagogik an der Evangelischen Hochschule Berlin/Stellvertretende Vorsitzende der BAG Spiel & Theater
Friedrich Schirmer // Intendant
Martin Bretschneider // Schauspieler/Moderator/Theaterpädagoge
Ulrich Schwarz // Schauspieler/Regisseur/stellv.Vorsitzender u. Künstl. Leiter Landesverband Amateurtheater Sachsen
Norbert Niclauss // BKM, Referat für Musik, Darstellende Künste, Sonderbereiche/Beisitzer/nicht stimmberechtigt
Stephan Schnell // BDAT-Bildungsreferent/nicht stimmberechtigt
Nicht auf dem Bild: Petra Wahed-Harms // Künstl. Leiterin Amateurtheaterverband Niedersachsen
Info & Kontakt:
Bund Deutscher Amateurtheater e. V.
Melvin Neumann
amarena – Deutscher Amateurtheaterpreis
Innovationsförderung
Senior*innentheater
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Fax 030 263 98 59 - 19
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