Über eine Theaterreise von Reims nach Stuttgart
„Es werden immer mehr werden“, „politische, Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge“, „des migrants“. Auf der Bühne herrscht Hektik, ein chaotisches Treiben, alle rennen im Kreis. Sie rufen bizarre Sätze mit Emotionen, die nicht zu passen scheinen. Der Sinn? Der ergibt sich mehr und mehr im Verlauf des Stückes, das sich „Schmuggler der Hoffnung – Theater des Neuanfangs“ nennt.
Dieses Motto begleitete uns – acht Jugendliche aus Frankreich und Deutschland – zwei Wochen lang von Reims (Frankreich) bis nach Stuttgart. Gemeinsam mit dem wundervollen Team aus Organisator*innen und Theaterpädagog*innen – hier nur stellvertretend Thea-Marie, Axel, Louise, Suzy und Vincent genannt – beschäftigten wir uns mit dem Thema Migration, mit dem Ziel, unsere Gedanken, Sorgen und Hoffnungen auf die Bühne und zum Publikum zu bringen.
In Reims trafen wir uns das erste Mal: schickes Hotel, coole Theaterschule, leckeres Restaurant. Das Kennenlernen verlief so schnell, als würde man alte Bekannte wiedersehen. Dadurch waren wir auch bei Spielen, Theaterübungen und Sprachanimationen schnell ein eingespieltes Team. Mich hat direkt fasziniert, wie schon durch kleine Übungen, nur begleitet von Musik und Körper, eine spürbare Spannung im Raum entstand. Wir testeten Emotionen, Laufgeschwindigkeiten oder Standbilder.
Jeder Morgen startete mit einer persönlichen Einordnung auf einer Skala von 1 bis 17 und dem anschließenden Lied des Tages – einfache Wege, ganz unbemerkt aus der eigenen Komfortzone zu kommen und sich in der anderen Sprache auszuprobieren. Sprachbarrieren wurden Stück für Stück überwunden. Ob durch Zeichensprache oder Zeichnen – zu einem Ergebnis kam man immer.
An unser großes Thema tasteten wir uns durch Mindmaps und Gespräche heran, aber auch durch Gedankenanschübe und Fragen. Das Theaterstück „E-passeur.com“ von Sedef Ecer diente als Grundlage. Als es an die ersten Texte ging, deren Einübung etwas Schweiß forderte und Geduld bedurfte, wurde allen klar, dass das gesteckte Ziel nicht so mal eben zu erreichen sein würde. Doch Thea und Axel zauberten. Und ohne dass wir es bemerkten, bastelten wir innerhalb von wenigen Tagen ein 30-minütiges Theaterstück zusammen. Von einem Werbespot zu Fluchtfahrzeugen über ein Standbild auf der Grenze bis hin zu wildem Tanz und Kreisspiel – alle möglichen Emotionen wurden abgedeckt. Jede Szene ließ in eine ganz eigene kleine Geschichte von nur wenigen Minuten blicken.
Neben den vielen Theaterstunden kam auch das Erkunden der Stadt nicht zu kurz. Der Bürgermeister gewährte Einblick in das Rathaus, wir besuchten ein Lichtspektakel und die Stadt Reims erkundeten wir in Teams ganz ohne technische Hilfsmittel. Das Beisammensein während der ausgiebigen Mahlzeiten half dabei, sich besser kennenzulernen.
Und so machten wir uns nach der ersten erfolgreichen Aufführung schon auf den Weg nach Stuttgart. Mit einem kurzen Zwischenstopp in Straßburg kamen wir dank TGV schnell bei unserer deutschen Jugendherberge an. Die Temperaturen stiegen und unsere Müdigkeit mit ihr. Der klimatisierte Probenraum in den Räumlichkeiten des Landesverbands Amateurtheater Baden-Württemberg (LABW) entwickelte sich zu unserem größten Glück. Thea und Axel hatten Gnade mit uns und ließen die Theaterproben in den ersten Tagen etwas entspannter angehen. Louise gestaltete mit uns einen Vormittag im Sinne der Sprachanimation rund um das Thema Identität und Privilegien. Audiomaterial aus diesem Tag wurde sogar aufwendig ins Stück geschnitten und gestaltete bewegende Übergänge. Fragen wie „Wurdest du schon mal für deine Sprachkenntnisse gelobt?“ oder „Würdest du gern mal in einem anderen Land leben?“ besprachen wir in Kleingruppen. Oft entwickelten sich die Antworten tiefgreifender als erwartet und regten so zum Denken an, auch über die eigenen Vorurteile oder Privilegien.
Durch viele Improvisationsübungen in Gruppen entstanden ganz spontan eigene kleine Szenen. Darin wurden wir von Geburtstagsgästen zu einem Fischschwarm und fragten einander, warum denn die Ohren grün und die Beine aus Holz seien. So verging die Probenzeit immer wie im Flug. Das hervorragende Mittagsbuffet von Vincent bot eine gute Zeit zum gemeinsamen Essen, Austauschen und neue Kraft tanken. Nachmittags besuchten wir die Stadt Stuttgart, ein kleines Festival und natürlich das Schwimmbad. Für die, die abends noch Energie hatten, standen außerdem eine Weinbergwanderung im Sonnenuntergang und das Spiel „Werwolf“ bei Nacht im Programm. Eine perfekte Mischung also, um den Sommer neben der Theaterarbeit zu genießen.
Am Samstagvormittag verabschiedeten wir uns schon wieder von unserem Gästehaus in Untertürkheim und fuhren nach Esslingen. Dort waren wir uns nach drei Durchlaufproben und einem Magen voller Falafel-Sushi sicher, dass die Aufführung spitze werden würde. Und so war es dann auch: Vor einem mitfieberndem Publikum hieß es zum letzten Mal: „Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Vereinten Nationen aufgelöst sind und keinen Weltfreund mehr garantieren können.“ Es wurde getanzt, gerufen, geträumt, gewartet, gespielt. Die Aufführung fühlte sich anstatt nach 45 nur nach 10 Minuten an. Und als die letzte Klebebandgrenze zerknüllt war und wir im Dunkeln standen, wurde klar: Zwei ganze Wochen waren schon wieder vorbei.
Zwei Wochen vergingen dank wunderbaren Teilnehmenden, Organisierenden und Mitwirkenden wie im Flug.
Und schließlich ertönte nach einer ausgelassenen Aftershowparty ein letztes Mal unser „Schlachtruf“: