Wie aus Inspiration neue Projekte wachsen: Legislatives Theater in Esslingen

Vor kurzem haben wir erfahren, dass sich aus dem Europäischen Senior*innentheater-Forum (ESTF) im Oktober 2024 in Vierzehnheiligen ein wunderbares Folgeprojekt zweier Teilnehmer*innen entwickelt hat. Barbara von Lauenstein und Angela Brock aus Esslingen besuchten beim ESTF den Workshop zum legislativen Theater von Jens Clausen, der sich seit vielen Jahren dieser Theaterform widmet. 

Die drei berichten hier einerseits darüber, was legislatives Theater eigentlich ist und in welches Projekt sich die auf dem ESTF gewonnene Inspiration entwickelt hat. Fest steht: Es war eine Menge Geselligkeit am Werk. 

Wenn Theater auf Politik trifft: Das legislative Theater

von Jens Clausen

Ich hatte die Möglichkeit beim ESTF einen Workshop zur Arbeit des Legislativen Theaters Berlin anzubieten. Seit über zehn Jahren leite ich gemeinsam mit meinem Kollegen Harald Hahn das Legislative Theater Berlin. Diese besondere Theaterform haben wir – angeregt von Augusto Boal – in unterschiedlichen Umsetzungen erforscht und für die Bundesrepublik adaptiert beziehungsweise einen eigenen Ansatz entwickelt. Im Kern versuchen wir eine politische oder gesetzgeberische Fragestellung mittels Theater zur Diskussion zu stellen. Im Zentrum steht dabei das Publikum, das als „Experte des Alltags“ Positionen, Gedanken und Erfahrungen auf die Bühne bringen soll. Das ist ganz wörtlich gemeint, denn im legislativen Theater können Zuschauer*innen in eine Szene einwechseln und den Verlauf der Szene verändern. Diese Veränderung wird dann mit dem Publikum diskutiert. So werden die Interessen des Publikums offengelegt und Forderungen herausgearbeitet. In einem zweiten Schritt werden diese mit gewählten Repräsentant*innen der Legislative diskutiert. Wir verstehen uns methodisch als eine „Politik-Beratung von unten“.

Die Teilnehmerinnen*Innen konnten im Workshop beim ESTF also lernen, wie wir die Szenen entwickeln, wie wir mit den Interventionen aus dem Publikum und mit den anwesenden Politiker*innen interagieren und wie der Ablauf eines legislativen Theaters funktioniert. Als sich nach dem ESTF durch die vorgezogenen Neuwahlen eine Umsetzungsmöglichkeit bot und zwei Teilnehmerinnen sich entschlossen ein legislatives Theater zu starten, waren wir natürlich begeistert und mit Rat dabei. 

Die zeitliche Komponente war aus unserer Erfahrung zu knapp bemessen, um tatsächlich die politische und parlamentarische Ebene einzubinden. Das ist bei der Umsetzung eines legislativen Theaters oft ein schwieriger Teilschritt und natürlich in der und für die Aufführung selbst eine große Herausforderung. Wie schafft man eine Positionierung im Interesse des Publikums? Was schafft einen tatsächlich offenen Diskurs? …

Folgerichtig entschieden sich die Esslinger ohne parlamentarische Vertreter*innen zu arbeiten, was beim gewählten Thema aus meiner Sicht sogar dem Thema selbst förderlich war. Die Frage der demokratischen Verfasstheit unserer Gesellschaft richtet sich zunächst ja an uns selbst – wie wir uns beteiligen, warum und wie wir uns für Demokratie einsetzen, was wir an der aktuellen Situation unserer Demokratie kritisch sehen oder was wir sogar ablehnen. Da gehen die Risse möglicherweise durch Familien, wie die gezeigte Szene in dem Esslinger Stück veranschaulicht.

Geselligkeit – auf, vor und hinter der Bühne!

von Angela Brock & Barbara von Lauenstein

Vom Workshop „Das legislative Theater“ beim ESTF in Vierzehnheiligen fuhren wir motiviert und inspiriert nach Hause. Wir waren uns bereits im Auto einig, dass wir möglichst bald das Erlernte anwenden wollten. Da spielten uns das Ende der Ampel-Regierung und die sich daraus ergebenden Neuwahlen in die Karten.

In einer 30-minütigen Aufführung des Forumtheaters in Esslingen zum Thema „Du hast die Wahl“ eskalierte auf der Bühne die gesellige Familienfeier zu Omas Geburtstag und endete aufgrund der sehr unterschiedlichen politischen Standpunkte in einem handfesten Streit. 

Das zahlreiche Publikum fand sich anschließend in kleinen Runden zusammen und diskutierte noch lange angeregt. Zitat eines Besuchers: „Und jede politische Meinung fand Raum und wurde angespielt! Da kam ich echt ins Nachdenken!“ Auf der Bühne hatte sich eine Gruppe von Darsteller*innen gefunden, die sich bis dato noch gar nicht gekannt hatten und in wenigen Proben zu einem spielfreudigen Ensemble zusammengewachsen waren. 

Unsere Gruppe wurde umgehend zu weiteren Aufführungen eingeladen, will auf jeden Fall weitermachen und sucht bereits nach einem neuen Thema.