Der Traum vom Schauspiel

Interview mit dem Schauspieler Jonas Graber

Jonas Graber ist 29 Jahre alt und spielt zurzeit die Rolle des Emils in dem Stück „Emil und die Detektive“ am Theater der Jugend in Wien. Als er als Sechzehnjähriger mit Energy Drink auf der Bank vor der Kirche in einem kleinen Dorf nahe Augsburg saß, war diese Vorstellung von seinem zukünftigen Ich buchstäblich unvorstellbar. Nicht nur hatte Jonas zu diesem Zeitpunkt kaum Berührungspunkte mit Theater gehabt; Er wusste gar nicht, dass man Schauspiel studieren und damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. 

Wie Jonas trotzdem zum Schauspielberuf gekommen ist, über welche Steine er gestolpert ist und was er über das Träumen denkt, hat er uns erzählt.

Vor einigen Wochen hattest du Premiere in der Hauptrolle als Emil. Gerade probst du den Peter für eine Inszenierung von „Heidi“. Wie geht es Dir heute als Schauspieler?

Es fühlt sich für mich immer noch surreal an, dass ich seit einem Jahr hauptberuflich und festangestellt als Schauspieler arbeite. Ich habe keinen familiären Kunst- und Kulturbackground und fühle mich auch heute noch manchmal fremd in der Theater- und Schauspielwelt. Diese Welt ist sehr exklusiv, und obwohl die Theater alle von Inklusion und Öffnung schwadronieren, sind sie leider noch immer hauptsächlich vom Bildungsbürgertum bevölkert. Aber trotzdem, so kitschig das klingt, mich macht einfach nichts so glücklich wie die Schauspielerei. Vom Proben bis zum Spielen habe ich wahnsinnig viel Freude.

Was waren deine ersten Theatererfahrungen?

Ich kann meine Erfahrungen mit Theater in meiner Kindheit an einer Hand abzählen. Im Dorf gab es eine Bürgerbühne, die einmal im Jahr ein bayrisches Volksstück aufgeführt hat. Dort war ich vielleicht einmal. Mit der Schule war ich dann zweimal in Augsburg im Theater. Das fand ich ganz cool, aber ich habe die Hälfte nicht verstanden und das Gefühl gehabt, zu dumm dafür zu sein. Wenn man nicht ins Theater geht, weiß man auch nicht, wie man Theater schaut. Ich dachte, ich muss, wie bei einem Film, jeden Handlungsstrang und jeden Dialog verstehen. Dass man sich aber auch einfach am Spiel der Schauspieler*innen erfreuen kann oder manchmal einfach nicht alles versteht, wusste ich nicht. Umso bereichernder finde ich es jetzt, an einem Theater für junges Publikum zu arbeiten und zu spüren, wie Kinder, die noch nie zuvor im Theater waren, nach der Vorstellung jubeln wie bei einem Rockkonzert.

Wenn dir das Schauspiel in deiner Jugend noch fremd war, wie sah Dein Weg zur Schauspielerei aus?

Ich bin schon immer ein großer Trotzkopf gewesen und hab es noch nie eingesehen, etwas zu tun, das mir keinen Spaß macht. Das hat es mir sehr schwer gemacht zu wissen, als was ich mal arbeiten möchte. Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, in der man Bürojobs nachging oder Handwerker*in wurde, vielleicht auch Lehrer*in oder Ingenieur*in. Im Abijahr an der Schule hat mich ein Klassenkamerad mit zur Theater-AG genommen, da dort kurzfristig ein Schauspieler ausgefallen war. Nach dem Abi war ich planlos und habe Politikwissenschaft studiert. Das Studium war cool, aber wirklich erfüllt hat es mich nie, sodass ich mehr Theater spielte als studierte. Ich entdeckte damals den Jugendclub am Staatstheater Augsburg. Das war rückblickend der wichtigste Moment für meine Schauspielkarriere. Ich habe dort wunderbare Freund*innen gefunden. Dieses neue Umfeld hat mich Schritt für Schritt in die Theaterwelt eingeführt und mit der Zeit hat sich der Wunsch geformt, Schauspieler zu werden. Es hat aber noch eine Weile gedauert, bis ich mir wirklich eingestanden habe, dass ich das machen möchte. Ich habe mir damals immer gedacht – als ob ein Dorfbub wie ich Schauspieler werden könnte. Aber insgeheim habe ich mich damals schon auf großen Bühnen gesehen.

© Rita Newman
© white-imagery

Wie ist Deine Familie mit Deinem Entschluss umgegangen, Schauspieler zu werden?

Mein Politikwissenschaftsstudium habe ich noch erfolgreich beendet. Das nicht zu tun, hätte ich meinen Eltern nicht antun können. Als ich ihnen dann von meinen Plänen erzählt habe, sind sie echt cool damit umgegangen. Ich war super aufgeregt, es Ihnen zu sagen. Sie haben keine Freudensprünge gemacht, aber ich glaube, Sie haben schon gespürt, wie sehr ich das möchte. Mittlerweile sind Sie sehr stolz und kommen auch immer zu meinen Aufführungen. Das macht mich sehr glücklich.

Worauf muss man gefasst sein, wenn man den Schauspielberuf ergreift? Was fordert dich am meisten heraus?

Das Herausforderndste ist für mich mein Perfektionsdrang und mein Sicherheitsbedürfnis. Beides ist nicht sehr vorteilhaft in meinem Beruf. Mein Perfektionsdrang ist herausfordernd, weil ich in jeder Probe meine Rolle perfekt spielen und entwickeln möchte, und das natürlich nicht funktioniert. Rückschläge gehören nun mal zum Probenprozess. Mein Sicherheitsbedürfnis macht es mir nicht einfach, weil es in der Schauspielwelt keine langen Arbeitsverträge gibt. Da kommt wieder das familiäre Umfeld ins Spiel, in dem bei mir berufliche Sicherheit extrem wichtig war. Es ist einfacher, wenn beispielsweise die Mutter schon Schauspielerin war, Sie weiß, wie es läuft und sie einen in unsicheren Situationen mental unterstützen kann.

Apropos Sicherheit: Was hat Dir die Sicherheit gegeben, dass Du wirklich Schauspieler werden willst? Würdest Du sagen, dass Dir der Schauspielberuf auch Sicherheiten gibt?

Ich glaube, der Wunsch, Schauspieler zu werden, ist einfach daraus entstanden, dass ich die Rückmeldung bekommen habe, dass ich etwas nicht nur mittelmäßig, sondern richtig gut kann, dass es mir extrem viel Spaß macht und, dass ich damit Menschen bewegen und zum Nachdenken anregen kann. Alle Bedürfnisse, die zuvor schon da waren, konnte ich plötzlich in einer Tätigkeit kanalisieren. Das hat mich bei der Entscheidung bestärkt. Ich habe mich persönlich sehr entwickelt, seit ich Schauspiel mache. Ich hatte früher kein großes Selbstbewusstsein, was sich mit der Zeit auf jeden Fall stark verändert hat. Außerdem habe ich natürlich viel darüber gelernt, wie ich mit den Mitteln, die mir mein Körper gibt, ganze Welten erschaffen kann. Das ist schon ziemlich cool.

Was war auf deinem bisherigen Weg deine schwierigste Etappe und was dein größtes Highlight?

Das Schwierigste an meiner Karriere war sicherlich die Zeit, in der ich vorgesprochen habe für Schauspielschulen und sehr viel mit dem Scheitern konfrontiert wurde. Es ist nicht einfach, wenn man sich einmal einen Traum eingesteht, dann auch dafür zu kämpfen, ihn wahr werden zu lassen. Ich habe schließlich an der MUK Wien, einer staatlichen Schauspielschule, studiert und durfte während des Studiums schon an mehreren Wiener Theatern spielen. Das schönste Erlebnis war meine erste professionelle Produktion – am Burgtheater Wien. Das hat sich angefühlt, wie auf einer Rakete durchs Universum zu fliegen. Das erste Mal fürs Schauspielern bezahlt werden und dann auch noch an einem der renommiertesten Theater überhaupt war unglaublich.

© Lisa Meyn
© Astrid Knie

Würdest du heute sagen, dass es sich lohnt zu träumen?

Ich bin ein großer Fan von Träumen. Diese Welt ist so hart, und so vieles ist so beschissen in unserer heutigen Zeit. Wenn wir aufhören zu träumen, wird das nur noch schlimmer. Ich glaube, mein schon wahrgewordener Traum, als Schauspieler meinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist das beste Beispiel dafür, dass es sich lohnt zu träumen und dass Träume wahr werden können. Gleichzeitig wird mir auch immer bewusster, dass leider die soziale Klasse, in der man aufwächst, und das eigene Umfeld stark beeinflussen, welche Träume man überhaupt träumen kann.

Was würdest du (jungen) Menschen mitgeben, die von der Schauspielerei träumen?

Lass dich nicht unterkriegen. In der Schauspiel- und Theaterbubble gibt es so viele Leute, die denken, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Wenn du gerne spielst oder es mal ausprobieren willst, dann ist es völlig egal, wie viel du schon über diese Welt weißt. Auf der Bühne sieht man nur, wie du spielst, nicht, welche Regisseur*innen oder Inszenierungen du schon kennst. So hart der Weg zwischendurch für mich war, so wertvoll waren die Erfahrungen, die ich auf dem Weg gemacht habe. Oh Gott, im nächsten Leben werde ich Motivationsredner.

Hast Du Dich selbst schon verwirklicht oder träumst Du noch?

Ich liebe Geschichten und es macht mir große Freude, diese urmenschliche Tätigkeit, das Erzählen von Geschichten, zum Beruf zu haben. Außerdem finde ich es sehr bereichernd, mich mit den Regieteams und meinen Kolleg*innen im Probenprozess mit unserer Gesellschaft und unseren Problemen zu beschäftigen. Ich möchte noch so viel lernen und vor allem will ich nie bequem werden! Gerade interessiere ich mich sehr für Puppenspiel. Und ich schreibe. So etwas wie Selbstverwirklichung ist ja nie abgeschlossen, aber nachdem ich meine ganze Jugend und mein junges Erwachsenenleben ein aufregendes Leben wollte, habe ich mich in der Hinsicht auf jeden Fall verwirklicht. Und so wie ich schon früher von großen Bühnen geträumt habe, träume ich heute auch noch davon.