„Der war als Kind oft im Theater und ist daran wie Pumuckl am Leimtopf klebengeblieben.“
So oder so ähnlich könnte vielleicht mancher etwas vorschnell über mich urteilen. Allerdings hätte er damit durchaus den Nagel auf den Kopf getroffen.
Mein Name ist Florian Dietel, ich bin Theaterautor und Schauspieler aus der Metropolregion Nürnberg.
Als Kind habe ich mir tatsächlich viele Vorstellungen der bayerischen Freilichtbühne „Naturbühne Trebgast“ angesehen. Das hat meine Fantasie beflügelt und den Wunsch wachsen lassen, irgendwann selbst Teil dieser geheimnisvollen und undurchschaubaren Theaterwelt zu sein, von der ich damals nur begriff, dass Klein und Groß sie lieben und brauchen.
Angestachelt von diesen Eindrücken probierte ich mich durch Schultheater und Amateurbühnen, sammelte so erste prägende Erfahrungen und absolvierte schließlich eine private Schauspielausbildung, der später Camera-Acting- und Dramaturgie-Seminare in München und Nürnberg folgen sollten.
Mein Herz gehört bis heute sowohl dem Spielen, als auch dem Schreiben. Nur – wie kam es eigentlich zum Schreiben? Warum setzt sich jemand freiwillig an den Laptop und beschäftigt sich immer wieder monatelang mit fiktiven oder historischen Personen, Handlungssträngen, Regieanweisungen und durchlebt dabei eine irrsinnige Achterbahnfahrt der Gefühle, die von himmelhochjauchzend bis hin zur völligen Verzweiflung reicht?
Wir landen nochmal kurz an der Naturbühne Trebgast.
Als kleiner Knirps durfte ich dort nämlich im Technikraum sitzen und das Spiel auf der Bühne Backstage miterleben. Was für ein Aha-Erlebnis! Und etwas Faszinierendes spielte sich ab und machte einen ungeheuren Eindruck auf mich: Die Ton- und Beleuchtungstechniker, die nicht nur hunderte Schalter gleichzeitig zu betätigen schienen, blätterten teils völlig gelassen, teils hektisch und teils die Schauspieler verfluchend in einem ramponierten Buch, das vor Bleistifteinträgen, Strichen, Skizzen, Unterstreichungen und Farben nur so strotze. Und genau das, was in diesem Buch beschrieben stand, setzten die Schauspieler punktgenau auf der Bühne um. Deshalb wissen die also alle, was sie wann zu tun haben! Toll!
Als ich mich dann mit Anfang Zwanzig selbst durch mehrere Inszenierungen im Kindertheaterbereich gemausert hatte, kam die Idee „Das Dschungelbuch“ auf die Bühne zu bringen. Aber wie – bei knapper Vereinskasse? Dr. Google wurde befragt und auf dem Rezept stand schwarz auf weiß, dass grundsätzlich die Rechte an einem Werk siebzig Jahre nach dem Tod des Autors auslaufen. Volltreffer! Rudyard Kipling war zu dem Zeitpunkt schon länger als siebzig Jahre nicht mehr am Leben, er dürfte also nichts dagegen haben, und so begab ich mich auf seinen Pfaden durch den indischen Dschungel und entwickelte selbst eine Bühnenfassung seines wohl bekanntesten und erfolgreichsten Werkes. An der Stelle bin ich mal ganz unbescheiden: Das Stück wurde tatsächlich ein Erfolg beim Publikum und die Schauspieler auf der Bühne taten dieses Mal das, was ich geschrieben hatte. Geht doch, wer sagt´s denn!
Schade wäre es allerdings gewesen, wenn das Stück nach der Dernière in der Schublade vermodert und in Vergessenheit geraten wäre und so machte ich mich auf die Suche nach einem passenden Verlag. Ich wurde rasch beim Plausus Theaterverlag in Bonn fündig. Das wiederum hat mich bestätigt, weitere Stücke folgten und bis heute ist es eine wunderbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit geblieben.
Aber warum hat mich das Schreiben nicht mehr losgelassen? Sagt man doch, Autorinnen und Autoren brauchen Ruhe und Zeit und sperren sich mitunter tage- oder sogar wochenlang in ihr stilles Kämmerchen ein, in der Hoffnung, die große Inspiration möge sich durch das enge Schlüsselloch zu ihnen durchquetschen. Für solch ein einsames Unterfangen wäre ich nicht der richtige Typ. Aber gesellig bin ich beim Schreiben tatsächlich nicht. Da ziehe ich mich mit Blaubeermuffins und Musik von Elvis Presley und Richard Strauss zurück, was gerne auch mal nachts um drei Uhr sein darf, und überlege, welche Geschichte ich mit welchen Figuren erzählen möchte. Das bedeutet, ich stecke gedanklich den Boxring ab, in dem die Story ausgetragen werden kann. In welchen Räumlichkeiten befinden wir uns? Zu welcher Zeit? Welche Figuren sind Frauen, welche Männer? Ich werde mich, wenn ich eine klare Entscheidungsfreiheit habe, immer für eine Frauenrolle entscheiden, da üblicherweise mehr Frauen als Männer auf der Bühne zur Verfügung stehen. Nur in Bayern soll es noch Ausnahmen geben.
Im nächsten Schritt werden die einzelnen Szenen festgelegt und was darin genau mit wem passieren soll. Jede Szene, ja sogar jeder Auftritt, muss die Geschichte ein kleines Stück weiter vorantreiben. Hier gleich mal ein Tipp: Ich finde es wichtig, dass eine spätere Vorstellung keine Leerlaufstellen hat. Um das zu verhindern, sollte jeder unbedeutende Satz ersatzlos gestrichen werden. Schaut mal, wenn eine Figur zum ersten Mal die Szene betritt, ob nicht gerade der erste gesprochene Satz („Da bist du ja.“) schon unnötig ist und den Redefluss nur aufhält. Traut euch zu streichen! Macht euch den Text mundgerecht zu eigen, im besten Fall ohne den Rhythmus zu verändern.
Jede Figur auf der Bühne hat immer etwas furchtbar Wichtiges zu tun, oder sie ist schnell auf dem Weg irgendwohin. Da sie nun ganz plötzlich von ihrem Vorhaben abgehalten wird, kommt die Geschichte ins Rollen. Keine Figur ist nur zufällig da. In der Geschichte kommt sie vielleicht „zufällig“ vorbei, aber der Autor hat ihr definitiv eine wichtige Funktion zugedacht.
Auch aus Besetzungsgründen werden meine Geschichten mit so wenig Personen wie möglich erzählt. Diese aber sollten immer unverwechselbar in ihren Eigenarten sein. Das erst macht Figuren so richtig lebendig und der Zuschauer kann sich mit ihnen auf die eine oder andere Art und Weise identifizieren. Wir treffen tagtäglich auf Menschen mit in unseren Augen komischen und teils fragwürdigen Eigenarten und Wesenszügen. Da ist jemand, der sich ständig an der Nase kratzt, einer, der jeden Satz mit „Naja“ beginnt oder ein anderer, der in Mantel und Hut und der „Süddeutschen Zeitung“ unter dem Arm den Zug betritt und eine junge Mutter angiftet, ihr kleines Baby möge gefälligst leiser schreien. Das alles erzählt eine Geschichte über Menschen. Seht euch in der U-Bahn oder beim Einkaufen um. Die Vorlagen für interessante oder sogar traumhafte Charaktere liegen auf der Straße, man muss sich nur bücken, um sie aufzuheben. Schon hat man eine ganze Fülle von glaubhaften Figuren, mit denen es sich jonglieren lässt. Übrigens: Mit jeder Figur, die ich ausarbeite, würde ich gerne eine Pizza essen gehen. Manchen würde ich bei der Gelegenheit meine Bewunderung aussprechen, anderen dagegen gehörig den Kopf waschen. Aber gerne habe ich sie alle irgendwie.
Wenn alle Figuren parat stehen, bestimme ich die Zeitspanne des Stücks. Ein rascher Zeitablauf der Bühnenhandlung, zum Beispiel ein Tag, fesselt erfahrungsgemäß die Konzentration des Publikums viel mehr, als wenn sich die Geschichte über Wochen hinzieht und man größere Zeitsprünge zeigen muss.
Wenn alle diese Vorarbeiten abgeschlossen sind, geht es mit dem eigentlichen Schreiben erst richtig los. Es ist wichtig, dass sich der Zuschauer von Anfang an mitten in der Story befindet. Auch hier wird alles Unnötige gleich zu Beginn weggelassen. Es gibt tatsächlich Studien darüber, dass ein Zuschauer innerhalb der ersten acht Minuten darüber entscheidet, ob ihm das, was er sieht, von vorne bis hinten gefällt.
Da wird dann ausprobiert, versucht, wieder verworfen und neu angesetzt. Den dramaturgischen Bogen im Auge zu behalten, also das Ziel, worauf die Geschichte zusteuert, ist das A und O. Nebenhandlungen werden nur bedient, wenn sie unbedingt nötig sind. Gags wollen wohldosiert sein und gerade in komödiantischen Stücken sind die „leisen Töne“ ganz entscheidend. Umgekehrt darf in einem Drama der Humor nicht fehlen, denn nur so baut man eine gewisse Fallhöhe auf. Dramatik ist hier das Stichwort. Und natürlich komme ich regelmäßig an den Punkt, an dem erstmal nichts mehr vorwärtsgeht. Das ist dann meine persönliche griechische Tragödie! Der Kopf scheint leer zu sein, die Figuren nicht mehr greifbar, der Plot zu dünn oder zu seicht, zu kompliziert, zu nichtssagend. Eigentlich ist alles Mist! Wer will sich denn bitte freiwillig so einen stümperhaften Schrott ansehen? Doch was dagegen tun? Entweder einen klassischen Nervenzusammenbruch bekommen oder, was der Gesundheit wesentlich zuträglicher sein dürfte: Das Stück ein paar Wochen liegenlassen, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Vielleicht lese ich in der Zwischenzeit einen Stephen King oder einen Stieg Larsson, das hilft immer. Danach kann es mit frischem Elan weitergehen.
Das geht so lange, bis ich zufrieden bin. Vorerst, denn jetzt beginnt die schmerzhafteste Arbeit eines jeden Autors. Man stellt fest, dass es hier und da noch hapert und zwickt, das Stück zwar gut aber plötzlich zu lang ist. Ich muss mich also von liebgewonnenen Ideen verabschieden. Ja, denn ein wichtiger Punkt ist natürlich die Stücklänge. Kinderstücke dauern bei mir nie länger als 80 Minuten, abendfüllende Stücke nicht länger als 110 Minuten. Das ist wohl Netflix und Co. geschuldet. Die Erfahrung zeigt, dass die Aufmerksamkeit ab diesem Zeitpunkt einfach zu sehr nachlässt. Autorinnen und Autoren sollten von Anfang an daran denken, auch wenn es weh tut!
Nun habe ich wochenlang in die Tasten gehämmert und es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem das Stück rund und fertigpoliert ist. Wenn ich das Wort „ENDE“ eintippe, was ich tatsächlich immer als allerletztes tue, ist das so, als würde ich nach einem Flug zum Mond wieder wohlbehalten auf der Erde landen. Die Hoffnung, etwas Gutes und Einzigartiges geschaffen zu haben, das hoffentlich auch seinen Siegeszug auf der Bühne antreten wird, und den Zuschauern ein paar schöne Stunden bereiten soll, ist ein irres Gefühl! Ich glaube, das ist die Antwort auf die Frage, warum ich schreibe. Zumindest fällt mir kein anderer Grund ein.
Aber was macht man, wenn sein eigenes Stück vollkommen von den eigenen Vorstellungen weg inszeniert wurde? Um ehrlich zu sein, das ist mir noch nie passiert. Auch finde ich es ungemein spannend, was ein anderer, in diesem Fall die Regie, in meinem Stück sieht, was mir gar nicht bewusst war. Eine Textfassung ist immer nur eine Momentaufnahme und beginnt erst durch die Arbeit mit den Schauspielern zum eigentlichen Leben zu erwachen. Wie langweilig wäre es, wenn jede Regie meine Stücke bis auf den letzten Punkt genau gleich inszenieren würde! Ich lasse mich da gerne überraschen. Solltet ihr selbst ein fertiges Stück in der Tasche haben oder jetzt mit dem Gedanken spielen, eine schon lange gehegte Idee endlich auf der Bühne sehen zu wollen, dann „Viel Glück“ und noch ein Tipp: Tut euch selbst einen Gefallen und haltet euch aus der Inszenierung raus! Es gibt so viele gute Regisseurinnen und Regisseure und nichts lähmt den kreativen Schaffensprozess so sehr, wie ein Autor, der der Regie im Nacken sitzt und meint, ungefragt seinen Senf dazu geben zu müssen. Ich habe das nie getan und werde es auch nie tun. Wenn ihr der Meinung seid, ihr könntet euer Stück selbst besser in Szene setzen, dann macht es auch selbst.
Natürlich gibt es auch Rückschläge. Niemand interessiert das, was du geschrieben hast, du wirst von Verlagen ständig vertröstet und letztendlich abgelehnt, die Spielpläne der Theater sind schon Jahre im Voraus verplant und so weiter. Lass dich nie entmutigen! Geh deinen Weg weiter und sei dankbar für alles, was du bisher geschafft hast! Dass man im künstlerischen Bereich immer mehr gibt, als man zurückbekommt, ist nun mal Teil der Veranstaltung.
Ich gehe nach wie vor sehr gerne ins Theater. Vor allem bei Kinderstücken bekommt man die Reaktionen gänzlich ungefiltert und grundehrlich serviert. Kinder reagieren einfach auf alles, was sie sehen und hören. Erwachsene hingegen neigen dazu, ihre Begeisterung zu verstecken. Klar, als Erwachsener verhält man sich schließlich so! Aber ich bin überzeugt, dass sich jeder Theaterbesucher in seinem tiefsten Inneren ein großes Stück kindliche Fantasie bewahrt hat und gerne mit und in Geschichten mitfiebert. Ansonsten wären unsere Theater leer. Etwas gemeinsam zu erleben und seinen Horizont zu erweitern sehe ich als eines unserer stärksten Grundbedürfnisse an. In dieser kurzen Zeit der Zusammenkunft sehen alle Besucher dasselbe Stück, aber trotzdem erlebt es jeder auf seine eigene Art und Weise. Man kommt nach der Vorstellung vielleicht mit den Schauspielern oder der Regie ins Gespräch, diskutiert, fragt kritisch nach oder spricht ein Lob oder sogar seine Bewunderung aus. Der gegenseitige Austausch ist eine wahre Goldgrube für empathische Bildung, was eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Schreiben von Theaterstücken ist. Und so kann eine wunderbare Geselligkeit entstehen. Geselligkeit, da haben wir´s! Theater ist ein Ort des Erlebens, der Gemeinschaft, der Kreativität und der Geselligkeit, und das nicht nur während der Spielzeit, sondern von der ersten Leseprobe an.
Ich für meinen Teil hoffe, dass ich noch viele Ideen für unsere Theater raushauen darf, und dass der brutale Vormarsch der Künstlichen Intelligenz uns Autorinnen und Autoren noch lange Zeit verschonen mag.