Schutzkonzept im Amateurtheater

Wieso Nähe stärkt und Schutz braucht

Bevor ich der Überschrift gerecht werde, möchte ich kurz erläutern, von welcher Perspektive der Text geschrieben wurde. Ich arbeite seit einiger Zeit mit vielen weiteren Menschen daran, ein dachverbandliches Schutzkonzept für den Landesverband Amateurtheater Baden-Württemberg  (LABW) und den BDAT zu schreiben. Das heißt, eine Vorlage, die sich Vereine zur Hilfe nehmen können, um ihr eigenes Schutzkonzept zu schreiben.

Ich spiele seit vielen Jahren Improvisationstheater, arbeite aber vor allem als Sozialarbeiterin in einer Inobhutnahme – einer Kriseninterventionseinrichtung. In dieser ist ein Schutzkonzept Pflicht und hinter der Arbeit steckt ein Studium, Zeit und finanzielle Mittel. Ein großer Unterschied zum Amateurtheater, der mir immer mehr bewusst gemacht hat, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind und wie beeindruckend die Menschen, denen ich begegne. Denn wir sprechen hier von Onlineveranstaltungen an Montag-Abenden, Zoom-Meetings, die 3 Stunden gehen und diese Zeit, die dafür unbezahlt bleibt. Allein schon Erscheinen, am Ball bleiben und konzentriert Mitarbeiten ist eine Höchstleistung.

Ich habe also die Ehre, seit mehr als einem Jahr, mit tollen und engagierten Menschen zusammenzuarbeiten. Dabei begegne ich Leuten, die noch nie den Begriff „Schutzkonzepte“ gehört haben und trotzdem mitdenken. Andere arbeiten schon lange an ihren Konzepten und teilen Erfahrungen und Tipps. Wieder andere bringen Skepsis ein – und genau diese Diskussion lässt uns wachsen und unsere Ideen noch verständlicher machen.

Und während wir diskutieren, lachen, nachfragen und manchmal auch stolpern, wird mir eines besonders bewusst: Geselligkeit – ja, selbst in langen Online-Meetings – ist ein Motor für Engagement. Sie zeigt sich in den kleinen Momenten, wenn jemand einen Tipp gibt, eine Frage stellt oder einen Vorschlag aufnimmt. Gerade diese Begegnungen sorgen dafür, dass Ideen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern tatsächlich verstanden und gelebt werden können und dass ist genau, was ich mir für ein Schutzkonzept wünsche.

Wenn ich an Amateurtheater denken, dann denke ich an Gemeinschaft und Geselligkeit, an Kreativität und Ideen und auch an Spaß und Spiel. Menschen mit verschiedensten Berufen, Hintergründen und Lebensgeschichten auf und hinter einer Bühne, die sich zusammentun und Kunst erschaffen. Und diese Gemeinschaft ist schützenswert und wir arbeiten hart daran, dass sich dieser Schutz einfach und natürlich anfühlt.

Wenn ihr tief in euch geht und an eure Vereine denkt, dann fragt euch diese Dinge mal:

  • Darf ich meine Meinung sagen?
  • Darf ich mitbestimmen?
  • Darf ich nein sagen?

Und wenn ihr diese Dinge mit ja beantworten konntet, sind wir schon mittendrin im Schutzkonzept. Wenn wir über Amateurtheater und Geselligkeit reden, komme ich immer wieder zu einem Punkt: Kunst funktioniert nur im geschützten Rahmen. Auf der Bühne, hinter der Bühne, bei der Probe und beim Vereinsfest. Nirgendwo können wir kreativ und glücklich mitarbeiten, wenn wir uns nicht gesehen, wertgeschätzt und geschützt fühlen. Schutz ist hier also kein Bremsklotz, sondern die Basis für ein Miteinander: Erst dort, wo wir uns sicher fühlen, entsteht wirklich Kunst.

Aber so ein Schutzkonzept wächst nicht von allein – es braucht Zeit. Es ist ein Prozess, ein Ausprobieren, Scheitern und nochmal versuchen. Nur gemeinsam kann ein Verein eigene Regeln finden, Abläufe bestimmen und eine Haltung entwickeln. Dabei existieren die meisten dieser Sachen sowieso schon, sie müssen nur aufgeschrieben und reflektiert werden. Nichts muss dabei in den Stein gemeißelt und perfekt sein. Schutzkonzepte dürfen verändert, diskutiert, bearbeitet und immer wieder neu gedacht werden.

Dabei ist noch etwas wichtig: Ein Schutzkonzept heißt nicht nur Arbeit und auf keinen Fall beinhaltet es nur Einschränkungen! Im ersten Moment denken wir an strikte Regeln, Verbote und Vorgaben. Dabei schützt ein gutes Konzept die Freiheiten aller, macht Regeln diskutierbar und Haltungen klar für alle. Es bietet Orientierung, zeigt Ansprechpartner*innen, definiert Grenzen – und schafft damit Raum, in dem man spielen, ausprobieren, lachen und auch mal Fehler machen kann, ohne dass jemand verletzt oder ausgeschlossen wird.

Ein Schutzkonzept bedeutet nicht, dass plötzlich alles verboten ist, was vorher erlaubt war. Im Gegenteil: Es macht nur klar, was nicht geht, und schafft so Transparenz. Gleichzeitig zeigt es, was wir schon gut machen – all die alltäglichen Dinge, die für ein respektvolles Miteinander sorgen, die bisher vielleicht einfach selbstverständlich waren, werden sichtbar und wertgeschätzt.

Ein wichtiger Teil ist das gemeinsame Erstellen. Wenn Menschen zusammen Regeln entwickeln, Abläufe abstimmen und überlegen, wie man Haltungen klar definiert, wachsen sie zusammen. Man diskutiert, probiert aus, hinterfragt sich gegenseitig – und genau daraus entsteht Gemeinschaft. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht, aber der sich lohnt, weil alle Beteiligten ein Stück Verantwortung übernehmen und sich mit dem Ergebnis identifizieren.

Einblicke in die Arbeit der AG Schutzkonzept bei verschiedenen Veranstaltungen 2025.

Und noch ein Punkt, der nicht vergessen werden darf: Vereine stehen in der Öffentlichkeit. Alles, was sie tun, wirkt nach außen – auf Mitglieder, auf Besucher*innen, auf die Nachbarschaft. Das bedeutet Verantwortung. Ein Schutzkonzept ist deshalb nicht nur ein internes Dokument, sondern ein Zeichen nach außen: Wir kümmern uns, wir achten aufeinander, wir schaffen einen Raum, in dem Menschen sich sicher fühlen können. Diese Verantwortung kann manchmal herausfordernd sein, aber sie ist auch ein Ausdruck von Professionalität, Respekt und Vertrauen – und sie zeigt, dass Amateurtheater mehr ist als nur Bühne und Spiel.

Wenn ich also über Geselligkeit nachdenke, sehe ich sie nicht als Gegenspieler von Schutz. Sie gehen für mich Hand in Hand: Gemeinschaft erschafft Nähe, Nähe braucht Regeln, Regeln geben Sicherheit, und Sicherheit lässt Kreativität sprießen. Für mich ist das ein Kreislauf: Wer Schutz erfährt, kann Nähe zulassen, wer Nähe erfährt, kann Gemeinschaft stärken, und wer Gemeinschaft erlebt, trägt dazu bei, dass Schutz wirklich gelebt wird.

Für mich war und ist die Arbeit am dachverbandlichen Schutzkonzept eine Bereicherung. Ich habe neue Menschen kennenlernen dürfen, kreative Ideen mit ausarbeiten können und inspirierende Geschichten hören dürfen und schon in meinem kleinen Kosmos hat die Arbeit mit Schutzkonzepten mir eines gebracht: Gemeinschaft.