
Zum ersten Mal hat der Bund Deutscher Amateurtheater in diesem Jahr eine bundesweite Innovationsförderung für Amateurtheaterprojekte und -initiativen in Höhe von 22.500 Euro vergeben. Bezuschusst werden zeitlich befristete Theater- und Tanzprojekte, die neue Praxis- und Aktionsformen im Amateurtheater erproben. Insgesamt 47 Förderanträge lagen dem Kuratorium zur Bewertung und Entscheidung vor. Davon konnten sieben Projekte unterstützt werden.
Ziel dieser Förderung ist es, neue Modelle des Amateurtheaters und innovative Ansätze zu unterstützen und Theatergruppen zu motivieren, z. B. neue Kooperationsmodelle zu entwickeln oder künstlerische Experimente zu wagen. Die amarena-Innovationsförderung wird alle zwei Jahre, im Wechsel mit der Vergabe des Deutschen Amateurtheaterpreises, ausgeschrieben. Die in diesem Jahr geförderten Projekte werden ihre Arbeitsergebnisse in Auszügen bei der Vergabe des Deutschen Amateurtheaterpreises 2012 in Rudolstadt (Thüringen) präsentieren.
Gemeinde Kloster Lehnin & Jungendtheaters Strumpfhose Bad Belzig (Brandenburg) //
„Erinnerung – ein Musical mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zum Thema Alzheimer“
Ein Musical zum Thema Alzheimer – was zunächst vielleicht verrückt klingt, offenbart auf den zweiten Blick eine künstlerische Herausforderung und eine gute Chance, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu heben.
Der eigens für dieses Projekt gegründete Trägerkreis, bestehend aus der Gemeinde Kloster Lehnin (Brandenburg), der Lehniner Schule, Pflegeeinrichtung und Altenhilfezentrum, beauftragte Frank Grünert als Autor und Andreas Behrendt als Komponist, ein Musical zu schaffen und dieses mit ca. 80 Kindern und Jugendlichen zur Aufführung zu bringen;
mit auf der Bühne: der Schuldirektor. Unterstützt werden die Amateure von drei Profi-Sängern und einem zehnköpfigen Orchester.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der unter Alzheimer leidende Herbert Nebel, sowie seine Freunde und seine Familie – der Weg führt von den ersten Anzeichen bis zum unabwendbaren Ende.
Das Jugendtheater Strumpfhose Bad Belzig (Mitglied im BATV) als Kooperationspartner bekleidet mit künstlerischem, technischem und personellem Know How.
TPZ Hildesheim (Niedersachsen) //
„Ohne Zucker, mit Sahne!“ Ein inszenierter Cafébesuch mit Kuchenduft, Recht und Würde
Seit Anfang Oktober 2011 spielen 13 Erwachsene mit und ohne so genannte geistige Behinderung gemeinsam im Café Treffer in der Hildesheimer Nordstadt Theater. Unter dem Motto „Ohne Zucker, mit Sahne!“ wagen sich die Schauspielamateure an das Thema Menschenwürde heran. Das Café mit Säulen, Tischen, Tresen und Treppenaufgang hält ein spannendes Bühnenbild bereit. Schon nach wenigen Proben steht fest: Eine Märchen soll es werden, was am Ende auf die Bühne kommt. Deshalb übten die Teilnehmer/innen schon mal ihren neuen Berufsstand. „Wenn ich König wäre …“ stand auf einem der Zettel, die sie beschreiben konnten, und den Rest durfte jede/r ergänzen. Für eine Teilnehmerin wurde daraus „Wenn ich König wäre, würde ich eine Prinzessin spielen.“ Pure Spielfreude äußert sich darin und die beiden Leiterinnen Annli von Alvensleben und Antje Kilian hoffen, dass dies auch so bleibt.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bringen ihre individuellen Fähigkeiten, Begabungen und Persönlichkeiten in das Projekt ein. Die Szenen werden aus alltäglichen und besonderen Erlebnissen, Ideen und Erfahrungen der Mitspielenden entwickelt, sodass alle an der Produktion des Stückes teilhaben. Projektleitung: Antje Kilian und Annli v. Alvensleben,
Initiativkreises 8. Mai Langenau (Baden-Württemberg) //
„Zusammenrücken – Leben in der Einwanderungsgesellschaft“
Mehr als 50 Jahre nach der ersten Anwerbung von Gastarbeitern hat sich auf politischer Ebene quer durch alle Parteien die Erkenntnis durchgesetzt, dass Deutschland ein Einwanderungsland und eine Integrationsgesellschaft ist. Im Jahre 2010 leben 1261 Menschen ohne deutschen Pass aus 63 Nationen in Langenau. Hierzu kommen die Einwanderer, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Neben vielen positiven Zeichen eines guten Zusammenlebens gibt es aber auch Schwierigkeiten und Probleme. Unter den Motto „Zusammenrücken – Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft“ möchte der Initiativkreis 8. Mai mit einem Theaterprojekt und einem Videoprojekt zum Dialog in der Kleinstadt Langenau (Baden-Württemberg) beitragen.
Beteiligt waren Schülerinnen und Schüler aus der Hauptschule, Werkrealschule, Realschule und des Gymnasiums, darunter Jugendliche mit so genanntem Migrationshintergrund, deren Eltern hauptsächlich aus der Türkei, aus dem Kosovo, aus Russland eingewandert sind. Auch Flüchtlinge aus Algerien, Syrien und Ägypten, die im Langenauer Asylbewerberheim untergebracht sind, machten mit.
Kann das Vorhaben überhaupt gelingen, zusammen mit so unterschiedlichen Menschen ein gemeinsames Theaterstück zum passenden Thema „Vielfalt ist spannend“ zu entwickeln? Zuletzt blieben von den ca. 40 Teilnehmern an den Theater-Workshops 14 Jugendliche und Erwachsene übrig, die in knapp zwei Wochen Arbeit an den selbst gewählten Figuren und Texten ein unter die Haut gehendes Teil-Stück am 21. Oktober auf die Bühne brachten. Mitwirkende und Zuschauer waren sich schließlich einig: „Das Projekt soll weiter gehen!“
Marion Gerlach-Goldfuß (Nordrhein-Westfalen) //
„Der Sturm – integratives Shakespeare-Projekt in Herten“
Eine Insel, irgendwo im Ozean. Nur der alte Prospero und seine Tochter Miranda, der Erdgeist Caliban und Luftgeist Ariel leben dort, schicksalhaft aneinandergebunden. Prospero sinnt nach Rache, weil sein Bruder Antonio ihm Herzogtum und Heimat genommen hat. Ein Sturm lässt die königlichen Missetäter Schiffbruch erleiden und die Gestrandeten erleben viele Abenteuer, an deren Ende schließlich Versöhnung, Freiheit und Liebe stehen.
Wie in der shakespear‘schen Erzählung landen die Zuschauer in der Christy-Brown-Schule, einer Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung, auf einer Insel mit Menschen voll ungeahnter Fähigkeiten – die mit einer großen Begeisterung Theater spielen, um Geschichten zu erleben und andere und sich zu erfreuen. Beim dritten Shakespeare-Projekt in Herten kommen ältere Menschen aus der Amateur-Theatergruppe „Die Spätberufenen“ erstmals mit auf diese Insel. Sie sind Mitspieler und Partner der 40 mitwirkenden Schüler, Integrationshelfer und Lehrer, die alle gemeinsam das Publikum verzaubern werden.
Die Schüler haben vielfältige Behinderungen. In einem offenen Probenprozess wird eine ganz eigene Spielfassung erstellt, so dass alle Beteiligten einen ihren Möglichkeiten und Neigungen entsprechend Platz im Gesamtgefüge finden können.
Ein kleiner, eigens zusammengestellter Geräusche-Chor, wird die Aufführung musikalisch begleiten. Das Bühnenbild wird gemeinsam mit den Kunst-AG‘s der Schule erstellt. Für die Regie ist Marion Gerlach-Goldfuß verantwortlich.
Theater der Migranten (Berlin) //
„Ortswechsel. Szenen aus dem Leben einer Stadt-Reuterkiez“
„Wer ist Spieler, wer Zuschauer, wer nur zufälliger Passant? Ist das hier das wahre Leben oder Theater?“ Die Produktion des „Theater der Migranten“ unter der Leitung von Olek Witt nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch die Straßen und die Häuser des Reuterkiezes in Berlin-Neukölln. Von Anwohnern geführt, wandern die Zuschauer durch das Quartier und erfahren Geschichten zu Orten, die ihnen sonst in ihrem Alltag häufig verschlossen bleiben oder die an ihnen unbemerkt vorbeiziehen. Entwickelt werden die Szenen dabei gemeinsam mit den jungen Darstellern, immer auch in Bezug auf die Räumlichkeiten, in denen sie stattfinden. Die Spielräume sind dabei so vielfältig wie der Kiez selbst: Neben einem türkischen Friseur sind das zum Beispiel eine polnische Buchhandlung, ein brasilianisches Café und eine Privatwohnung. Hier zeigt sich Theater nicht als lebensferne Literaturwiedergabe, sondern vor allem als eine Ausdrucksform der urbanen und vielschichtigen Alltagskultur.
Theaterwerkstatt am Theater im Depot, Dortmund (Nordrhein-Westfalen) //
„Bringt die Natur zurück in die Stadt“
Acht junge Frauen zwischen 17 und 24 Jahren erarbeiteten unter der Leitung von Barbara Müller szenische Performances und künstlerische Aktionen. Ausgehend von der Sorge, dass die Natur immer mehr aus der Stadt verdrängt wird, entstand die Idee eines Besuches von „Mutter Natur“ und ihren vier Jahreszeiten sowie zwei Spähern: Affe und Wolf. Begleitet werden sie von einer Reporterin, die den Umzug der Natur-Karawane durch die Stadt begeistert begleitet und das Publikum darauf anspricht und einbezieht.
Die Premiere des Stadt_Gartens fand am 15.10.2011 im Rahmen der Nacht der Jugendkultur in der Dortmunder Innenstadt statt. Das Ensemble marschierte durch die Fußgängerzone und stoppte hier und da. Als Walk Act zogen die Darstellerinnen viele interessierte Blicke der Passanten auf sich. Bei den szenischen Aktionen versammelten sich viele Neugierige, die sehen und hören wollten, was es mit den auffälligen Besuchern auf sich hat und die zum Abschied einen Sprössling von Mutter Natur – eine Topfpflanze – geschenkt bekamen.
Verein Kinder- und Jugendkultur / Junges Ensemble Stuttgart (Baden-Württemberg) //
„Rock the city – ein theatrales Flashmop-Projekt mit Senioren“
„wir sind die menschen auf den wiesen, bald sind wir die menschen unter den wiesen. und werden wiese und werden wald, das wird ein heiterer landaufenthalt.“ (Ernst Jandl)
14 Senioren unterwegs in der Landeshauptstadt mit einem schönen Gedanken von Ernst Jandl auf den Lippen
„Stadtkantengeschichten“. So hat das Junge Ensemble Stuttgart die Spielzeit 2011/2012 überschrieben. Und weil Fragen nach der äußeren und inneren Gestaltung einer Stadt immer auch mit Fragen nach Lebensentwürfen verbunden sind, setzte sich das Seniorentheater „die 5te jahreszeit“ bei diesem Projekt mit altersspezifischen Fragen auseinander. Dann kam ein neuer Gedanke hinzu: Einmal den geschützten Raum der Theaterbühne zu verlassen und sich einem unvorhersehbarem Publikum zu stellen.
„Unterwegs in der Öffentlichkeit – was ist euch wichtig?“ Dies war eine erste Hinführung zum Thema, spontane Antworten waren: „Gelassen aber nicht kritiklos sein, streitbar bleiben, mitmischen so lange es geht, Wünsche nicht aufschieben, ich träume noch, heute leben, neue Dinge wollen, Normalität kann grotesk sein…“ Diese Inhalte wurden verdichtet und dazu passende literarische Texte gesucht. Das Ganze wurde bearbeitet und in die Form eines theatralen Flashmobs gebracht.
13 Mal wurde die Aktion durchgeführt. Spielorte waren Schulhöfe, Plätze in der Stadt, die Wilhelma, vor der Stiftskirche, ein schickes Einkaufszentrum, u.a.m.
Frank Grünert // BDAT-Vizepräsident und Vorsitzender des Kuratoriums
Miriam Deforth // Moderatorin/Schauspielerin
Marcus Joos // Vorstandsmitglied Landesverband Amateurtheater Baden-Württemberg
Roland Friedel // Rundfunksprecher/Schauspieler i.R.
Eva Bittner // Leitung Theater der Erfahrungen
Prof. Bernd Guhr // Schauspielpädagoge und Regisseur
Martina Pfeil // Theaterpädagogin
Irene Ostertag // Geschäftsführerin BDAT (nicht stimmberechtigt)
Norbert Niclauss // Vertreter des Beauftragten für Kultur und Medien
Info & Kontakt:
Bund Deutscher Amateurtheater e. V.
Melvin Neumann
amarena – Deutscher Amateurtheaterpreis
Innovationsförderung
Senior*innentheater
Lützowplatz 9 // 10785 Berlin
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Fax 030 263 98 59 - 19
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